Homosexualität in der Bibel

Im Nachgang zu einem dümmlichen Referätlein des Bischofs von Chur tobt in den Medien seit Wochen ein Streit über die Homosexualität in der Bibel. Wer in diesem Zusammenhang auf die löbliche Idee kommt, die paar wenigen Stellen nachzuschlagen, die immer wieder genannt werden, kommt beim Lesen recht auf die Welt: wie es scheint, interessiert sich die Bibel zwar kaum für das Thema, aber wenn sie ausnahmsweise mal davon redet, dann teilt sie tüchtig aus. Meint man. Wie so oft, trügt auch hier der Schein und der erste Eindruck ist falsch.

 Der französische Althistoriker Paul Veyne unterscheidet für die römische Antike zwischen  einer „Homosexualität des Wunsches“ und einer „Homosexualität der Lust“: erstere bezeichnet homosexuell veranlagte Menschen, letztere hingegen Heterosexuelle, die sich umständehalber, um schnell auf ein Lüstchen zu kommen, an gleichgeschlechtlichen Lustobjekten vergreifen – in der römische Antike offensichtlich eine häufige Praxis.

Schlägt man mit dieser Unterscheidung im Hinterkopf die berüchtigte, scheinbar homophobe Stelle im Römerbrief (1,26f) auf, so stellt man mit Staunen fest, dass Paulus dort genau gegen diese „Homosexualität der Lust“ vom Leder zieht: die römischen Frauen haben den „natürlichen“ (d.h. den ihrer individuellen heterosexuellen Veranlagung entsprechenden) Gebrauch der Sexualität vertauscht mit einem Gebrauch, der an ihrer Natur vorbei geht und auch die Männer haben den ihrer individuellen Natur entsprechenden Gebrauch (naja!) der Frauen aufgegeben, um strohfeuerartig für männliche Ersatzobjekte zu entbrennen. Man kann aufatmen: Paulus hat gar nichts gegen homosexuell empfindende Menschen gesagt, sondern nur eine damals verbreitete (und auch heute für uns reichlich seltsame) Mode heterosexueller Lustmolche abgeschossen. Und dabei hatte er nicht einmal eine ethische Absicht: Wie der Zusammenhang zeigt, geht es Paulus am Anfang des Römerbriefes ausschliesslich um eine Kritik an der römischen Vielgötterei - bei der die vermeintlich gebildeten Römer sich erblöden, statt des jenseitigen Gottes die plumpen Statuen von Kaisern oder Tieren anzubeten. So vertauschen sie die natürliche Religiosität gegen eine widernatürliche, politische Modereligion. Und Gott straft sie dann dafür, indem  er sie dazu bringt, ihr natürliches sexuelles Empfinden durch eine lachhafte, widernatürliche Praxis auszutauschen. (Wenn man aus diesem primär religionskritischen Text unbedingt eine sexualethische Folgerung ziehen wollte, dann wäre es bestimmt nicht die Verdammung der Homosexualität, sondern höchstens die Verurteilung eines sexuellen Verhaltens, das der eigenen, natürlichen Anlage widerspricht oder diese verleugnet - also ungefähr dessen, was der "Katechismus der katholischen Kirche" in Nr. 2357ff den Homosexuellen nahelegt...).

Worin in den Lasterkatalogen von 1 Kor 6,9 und 1 Tim 1,10 das Fehlverhalten der "Männchen-Lieger" genau bestanden hat, ist völlig rätselhaft. "Knabenschänder" (wie das Wort landläufig und ziemlich tendenziös übersetzt wird), d.h. Päderasten sind es bestimmt nicht gewesen, denn die müssten doch als solche bezeichnet werden. Klar scheint nur, dass die seltsame Bezeichnung, die nur an diesen zwei Stellen des Neuen Testaments vorkommt (und davon abhängig im Polykarpbrief 5,3) und sonst nirgends in der ganzen griechischen Literatur, eine sexuelle Entgleisung meint, und da würden die eben erwähnten lustfixierten Gelegenheits-Homosexuellen aus dem Römerbrief ganz gut passen.

 

Erstaunlicherweise bewährt sich Veynes Unterscheidung aber auch bei den scheinbar homophoben Stellen aus der hebräischen Bibel: in den Horrorgeschichten aus Sodom (Gen 19) und Gibea (Ri 19) wollen ja pöbelnde Lüstlinge fremde Gäste vergewaltigen. In beiden Fällen wird als „Lösung“ die Verfütterung von Frauen vorgeschlagen und dieser (für uns heute reichlich seltsame) Ausweg wäre völlig sinnlos, wenn die Vergewaltiger echte Homosexuelle wären.

Auch die beiden Levitikusstellen (18,22; 20,13), die den Gnädigen Herr aus Chur so begeistern, werden dank Veynes Unterscheidung plötzlich bis ins Detail der Formulierung hinein verständlich: verurteilt werden dort „Männer“, die mit einem „Männchen“ schlafen, und zwar  „im Ehebett einer Frau“ – und diese seltsame Präzisierung (die meist ebenso seltsam, jedenfalls falsch übersetzt wird) passt am besten auf Heterosexuelle, deren Ehefrauen "für den Gebrauch" gerade nicht zur Hand sind und die daher das erstbeste männliche Sexualobjekt in ihr Ehebett zerren.

So bleibt „um der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben“ in der Bibel nur noch das Geturtel von David und Jonathan (1 Sam 18f). Ich vermute, letzterer war ein echter, praktizierender „Homosexueller des Wunsches“ und über den sagt der Text gottlob kein böses Wort....

 

Damit scheint mir klar: "die Bibel" hat zur menschlichen Homosexualität und zu deren ethischen Beurteilung keine Meinung. Wenn man also heute "aus der Sicht des Glaubens" dazu Stellung nehmen will, kann und muss man sich ganz auf die menschliche Vernunft (und damit ist natürlich auch gesagt: auf die heutigen humanwissenschaftlichen Einsichten) stützen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Valentin Abgottspon (Sonntag, 11 Oktober 2015 17:25)

    Hallo Pierre,

    anlässlich des Gesprächs bei http://www.schwuleob.ch/index.php/news-events/11-news/25-podiumsgespr%C3%A4ch-kirche-und-homosexualit%C3%A4t bezichtigtest du mich (so nahm ich das wahr...) der Falschinformation.

    Kannst du Klarheit in die Angelegenheit bringen? Meintest du in deinem Moment der Empörung eher: «Es SOLLTE deswegen niemand exkommuniziert werden?»

    Hier die Doku zur Exkommunikation. Siehst du das anders als ich? Da wurde exkommuniziert. https://en.wikipedia.org/wiki/2009_Brazilian_girl_abortion_case#National_Conference_of_Bishops_of_Brazil

    Fisichella wurde wegbeordert vom Posten.

    Bist du bereit, zuzugeben, dass du dich diesbezüglich geirrt hast? Auf Schwangerschaftsabbruch steht Tatstrafe Exkommunikation.

    Siehst du das anders?

    Falls du den Brasilien-Fall für nicht ganz klar hältst:
    Magst du zumindest zugeben, dass: Bei Schwangerschaftsabbruch/Abtreibung WENN die Mutter nicht in Todesgefahr oder grosser Furcht ist, also "frei" entscheidet: Dass dann Tatstrafe Exkommunikation erfolgt.


    LG, Valentin